Ernährung

Rohkost: Formen, Ideologien und Studien

Erfahrungen aus der Naturheilpraxis von René Gräber

René Gräber
René Gräber

Häufig werden Ernährungsdefizite auf moderne Fast-food und Fertiggerichte zurückgeführt. Alternativ dazu treten Ernährungsstrategien auf den Plan, die die Parole „Zurück zur Natur“ auf ihre Fahnen geschrieben haben könnten. Eine davon ist die Rohkost.

Aber wenn man versucht sich einen Überblick über das Thema Rohkost zu verschaffen, scheint Rohkost nicht gleich Rohkost zu sein.

In einem pluralistischen System scheint auch die Auffassung von super-gesunder Ernährung kein einheitliches Thema zu sein.

Ist Rohkost gesund?

Rohkost ist gesund – sagen zumindest die meisten.

Aber wie gesund ist Rohkost, wenn man bis ans Limit geht?

Die DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) empfiehlt 400 bis 700 g rohes Obst und/oder Gemüse pro Tag, die auf fünf Mahlzeiten am Tag zu verteilen sind. Das aber ist für die Rohkost-Befürworter deutlich zu wenig, für einige wenige Gegner oft schon zu viel des Guten.

Rohkost hat eindeutige Pluspunkte, wenn es um Vitamin- und Ballaststoffreichtum geht. Vitamine und Mineralien werden durch keinen Kochgang zerstört, und es entwickeln sich auch keine krebsfördernde Substanzen, die durch Erhitzung entstehen können (wie zum Beispiel Acrylamid).

Obst und Gemüse verschaffen ein nachhaltiges Sättigungsgefühl, aber dennoch ist der Kaloriengehalt im unteren Bereich anzusiedeln.

Die Gegner dagegen behaupten, dass Rohkost unverdaulich sei. Sie belaste den Organismus, da der menschliche Körper im Prinzip nicht an eine ungekochte Kost angepasst sei. Die Theorien gehen bis zu den Behauptungen, dass Rohkost Nierenversagen auslöse und giftig sei.

Und sicherlich kann es von Nachteil sein, dass Rohkost eine mögliche Quelle von Parasiten und Bakterien ist, die während des Kochvorgangs abgetötet worden wären.

Sie sehen: es ist gar nicht so einfach – und eigentlich müsste man zu diesem Thema schon fast ein ganzes Buch schreiben… Wozu mir aber wieder einmal die Zeit fehlt.

Wenden wir uns erst einmal der Frage zu:

Rohkost – Was ist das?

Im Prinzip wird jede Nahrung, die nicht über Hitze zubereitet worden ist, als Rohkost bezeichnet.

Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um pflanzliche oder tierische Produkte handelt. Die vegetarische Variante beinhaltet Gemüse, Obst, Nüsse, Pilze, Kräuter, Samen etc.

Die nicht-vegetarische Rohkost enthält Fisch (Bismarckhering, Matjes, Sushi etc.) und Fleisch wie Tartar oder auch Eier.

Das bekannteste Rohkostgericht sind die Salate, die sich zumindest als Beilage auf den Tellern der meisten „Normalverköstiger“ durchgesetzt haben.

Das Argument der Rohkostanhänger, dass ungekochtes Essen besonders viele Enzyme enthalte, neben den Vitaminen und Spurenelementen, ist ohne besondere Bedeutung, denn Enzyme sind Eiweiße, die von den Verdauungssäften aufgespalten und inaktiviert werden, im Gegensatz zu Vitaminen und Spurenelementen.

Auch die Argumentation bezüglich der Verdauungsleukozytose erscheint eher hypothetisch. Bislang gibt es keinen gesicherten Nachweis, dass eine nicht-Rohkost Nahrungsaufnahme der Grund ist für einen Leukozytenanstieg, bzw. welche Komponenten in dieser Nahrung dafür verantwortlich wären.

Leukozytenerhöhungen sind zudem bei anderen Ereignissen ebenso beobachtet worden, z.B. bei intensiver körperlicher Aktivität und Zigarettenrauchen. Zigarettenrauchen ist nicht das, was man unter einer gesunden Lebensführung versteht.

Aber körperliche Aktivität, auch in einem intensiviertem Umfang, ist der propagierte Teil einer gesunden Lebensweise. Wie es scheint, ist diese Form der Leukozytose zeitlich befristet und hat keinen sonderlich nachhaltigen Einfluss auf die Gesundheit. Wenn dem so wäre, dann wären Sporttreibende die Ersten mit ernsthaften gesundheitlichen Problemen.

Vielleicht finden wir eine Antwort in der Geschichte…

Was essen – sprach der Neandertaler?

Rohkost ist bis heute die einzige Nahrungsquelle in der Tierwelt, bis hin zum Menschenaffen.

Auch unsere Vorfahren waren auf sie angewiesen. Der Gebrauch des Feuers ist seit ca. 700.000 Jahren bekannt.

Dies führte zu der Annahme, dass selbst der heutige Mensch noch keine optimale Anpassung an gekochte Nahrung erfahren hat und daher ein Großmaß an Erkrankungen auf den Kochvorgang zurückzuführen seien.

Dafür spricht auch, dass es eine Korrelation zwischen Zivilisationserkrankungen und den Fertigkeiten beim Kochen zu geben scheint (Mikrowellenherd etc.).

Es bleibt dennoch zu fragen, ob diese Erkrankungen direkt mit dem Kochvorgang in Zusammenhang stehen, oder ob nicht die Qualität und Quantität der Nahrung hier eine entscheidende Rolle spielen.

Eine Ernährungsbasis, die ausschließlich auf Rohkost basiert, scheint für Babys und alte Menschen nicht optimal zu sein. Es wird vermutet, dass vor dem Erwerb der Fähigkeit, mit Feuer umzugehen, die Nahrung der Kleinkinder von den Eltern vorgekaut und durch deren Speichelenzyme vorverdaut worden ist.

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Die Welt der Rohkostlehren und Rohkost-Ideologien

Mittlerweile gibt es eine Reihe von „Rohkostschulen“. Sie sind in ihrer Methode und Empfehlungen teilweise widersprüchlich. Dies betrifft insbesondere den Genuss von Fleisch.

Die Natürliche Gesundheitslehre (Natural hygiene)

Dies ist eine Gesundheitsbewegung, die aus den USA kommt. Sie wurde 1822 von Sylvester Graham und Dr. Isaac Jennings ins Leben gerufen. Als natürliche Nahrung des Menschen bezeichnet diese Lehre alle Früchte, Gemüse, Salate, Nüsse, Sprossen, Samen etc. Zusätzlich wird hohen Wert auf Sonnenschein, eine erfüllende Arbeit, Bewegung und eine giftfreie Umwelt gelegt.

Urkost

Diese Lehre erlaubt nur Wildkräuter und Wildgemüse, Früchte und ursprüngliche, vegane Lebensmittel im rohen Zustand. Sie versteht sich als eine Urtherapie, die eine natürliche Lebensweise mit einschließt.

Instincto-Therapie

Bei dieser Lehre nach Guy-Claude Burger ist alles erlaubt, sofern der Instinkt des Einzelnen es zulässt. Somit gibt es keine Bedenken bei nicht-vegetarischer Nahrung. Allerdings sind nur ursprüngliche und nicht verarbeitete Lebensmittel erlaubt. Laut Instincto ist der Instinkt der Kochköstler durch den Genuss der gekochten Lebensmittel verloren gegangen, kann aber nach 3 Wochen Instincto-Training wieder zurückgewonnen werden.

Früchterohkost

Diese Schule glaubt, dass der Mensch ausschließlich an Früchte optimal angepasst sei. Grund dafür ist, dass sie vom menschlichen Verdauungssystem leicht verarbeitet werden können, uns geschmacklich und vom Aussehen besonders zusagen und eine optimale Energieversorgung darstellen. Von daher soll der Mensch sich ausschließlich von Früchten ernähren.

Primal Diet

Aajonus Vonderplanitz propagiert eine nicht-vegetarische Ernährung mit deutlich reduziertem Kohlehydratkonsum und vermehrter Aufnahme von Fleisch, Fett, Rohmilch und Rohmilchprodukten und Gemüsesäften.

Fit for Life

Diese größtenteils vegane Ernährungsweise nach Harvey und Marilyn Diamond propagiert ausschließlich Rohkost. Als Getränk darf nur destilliertes Wasser und frisch gepresster Orangensaft eingenommen werden.

Sonnenkost

Diese Schule lebt vegetarisch. Ihr Hauptaugenmerk liegt auf Früchten, Sprossen, Getreide, rohem Gemüse, Nüssen und anderen Nahrungsmitteln, die an der Sonne gereift sein müssen.

Weniger Krankheiten durch mehr Gemüse?

Bei allen Unterschieden sind sich die meisten Schulen doch einig, dass der Verzehr von Rohkost eine Reihe von Krankheiten verhindert oder sogar kuriert.

Im Visier stehen hier besonders die Krebserkrankung. Dies scheint richtig und unrichtig zu sein, wie jüngste Studien verlauten lassen. So scheint es einen Zusammenhang zu geben zwischen dem vermehrten Verzehr von Obst und Gemüse und der Reduktion von Lungenkrebs und Krebs des oberen Verdauungstrakts.

Andere Krebsformen, wie Prostatakrebs, Magenkrebs, Brustkrebs, Nierenkrebs und Eierstockkrebs, zeigen keine Veränderung in der Häufigkeit des Auftretens unter Rohkost.

Die “Giessener Rohkoststudie”

Die Giessener Rohkoststudie wurde von 1996 bis 1998 an reinen Rohköstlern von der Universität Gießen, Fachbereich Ernährungswissenschaft, durchgeführt.

Nach anfänglich 700 Teilnehmern wurden bei Studienende 201 Probandendaten ausgewertet.

Ziel der Studie war es, den gesundheitlichen Zustand der Rohköstler zu untersuchen. Die Probanden ernährten sich zu 70 Prozent und mehr von Rohkost. Ihr Alter lag zwischen 25 und 64 Jahren. Alle Probanden mussten Nichtraucher und seit mindestens 14 Monaten Rohköstler sein. Die Nährstofflage wurde durch Blutabnahmen untersucht.

Das Ergebnis der Studie ergab, dass 57 Prozent als untergewichtig eingestuft wurden. Übergewicht trat nur in 1 Prozent der Fälle auf.

Männer und Frauen hatten in einem Zeitraum von 4 Jahren durchschnittlich 10 kg bzw. 12 kg verloren, unabhängig vom Ausgangsgewicht.

Ein Drittel der Frauen unter 45 Jahren litt unter Amenorrhoe, die im Zusammenhang mit Unterernährung auftritt. Der Vitaminstatus dagegen war für die Vitamine A, C, E, B1, B6, Folsäure, Betacarotin, Selen und Antioxidantien optimal. Mangelerscheinungen traten auf bei Calcium, Zink, Jod, Vitamin D und Vitamin B12. Die Magnesium Blutwerte lagen unter den Richtwerten, obwohl die Zufuhr ausreichend über die Rohkost gesichert war.

Dies gibt Grund zu der Vermutung, dass Rohköstler Magnesium nicht optimal verwerten können. 43 Prozent der Männer und 15 Prozent der Frauen waren anämisch, da die Eisenzufuhr nicht ausreichend war.

Fazit: Es scheint, dass nicht jeder für eine reine Rohkost tauglich zu sein scheint. Leberkranke scheinen hier besonders betroffen zu sein. Es wurden auch einige Fälle von gesundheitlichen Problemen beobachtet, die durch Enterohämorrhagische Escherichia coli (EHEC) verursacht wurden. Ursache dafür waren verunreinigte Salate.

Und es kam dann, wie es kommen musste. Viele Rohköstler kritisierten diese Studie vehement.

Zentraler Kritikpunkt war die Normierung der Grenzwerte. Ab wann beginnt eine gesunde Proteinaufnahme? Und ab wann gilt diese als unter- oder überdosiert? Welche Aussagekraft haben die Blutwerte für die Gesundheit? Sind die Rohköstler wirklich alle untergewichtig oder ist das “Normalgewicht” eher zu hoch angesetzt?

Für zahlreiche andere Parameter wurden die Vergleichswerte ebenfalls in Frage gestellt. Außerdem wurde bemerkt, dass die “Normalbevölkerung” mit den auch von der DGE vorgegebenen “Normalwerten” ein hohes Maß an Zivilisationskrankheiten aufweist.

Rohköstler dagegen weichen nicht nur in den “Normalwerten” vom Durchschnitt ab, sondern weisen auch deutlich weniger Zivilisationserkrankungen auf.

Rohkost oder Mischkost?

Kann es sein, dass sich in dieser Diskussion einmal mehr der Mittelweg als der goldene Weg erweist?

Es spricht viel dafür, dass Rohkost eine Reihe von Vorteilen hat. Aber ein Zuviel des Guten scheint das Gute dann zu relativieren.

So sind eine Reihe von Lebensmitteln, wie Kartoffeln, Hülsenfrüchte, Reis, Pilze etc., roh ungenießbar und unverträglich. Die Empfehlung der DGE, fünf mal am Tag rohes Obst und Gemüse zu essen, macht Sinn, denn eine “artgerechte” Ernährung sieht auch den Verzehr von rohen Nahrungsmitteln vor.

Der Vorteil der Zufuhr von unveränderten Vitaminen und Spurenelementen ist einfach nicht von der Hand zu weisen. Überdosierungen von Vitaminen sind durch eine Rohkost nicht zu erwarten, da einige der Vitamine in der Nahrung als Vorstufen aufgenommen werden und der Organismus nur die Mengen an Vitaminen aktiviert, die er auch wirklich benötigt. Zum Beispiel gelten zu hohe Vitamin A Spiegel als gesundheitsgefährdend. Die Vorstufe Beta-Carotin dagegen ist in vielen Obstsorten und Gemüsen enthalten.

Ob rohes Fleisch und roher Fisch die Gesundheit des Menschen positiv beeinflussen kann, bleibt fraglich. Als Delikatesse beeinflusst diese Ernährungsform zumindest den Gaumen des Feinschmeckers.

Fazit

Letztlich komme ich doch wieder auf die von mir vier einfachen Kriterien für eine gesunde Ernährung zurück.

Beitragsbild: fotolia.com – C. alinamd

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